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Man kann so viel über sich selbst lernen!

Bevor wir uns in Richtung der D707 bewegen, ist schon richtig viel passiert: wir starten mit einem morgendlichen kleinen Spaziergang in die Bergwelt und genießen die Landschaft. Das schafft Platz im Magen für ein ausschweifendes Frühstück. Nachdem wir am Vorabend mal das Guidebook unseres Autovermieters gelesen haben, rufen wir dort an. Denn im Guidebook steht: wenn eines der erwähnten Lichter am Cockpit auftaucht - bitte Vermietung anrufen. Nachdem bei uns gleich drei der Lichter leuchten, sind wir auf die Ferndiagnose gespannt. Diese ist schnell und eindeutig: Problem mit dem 4x4 System, Vermutung: Kabel locker. Das Quietschen vorne rechts beschreiben wir auch gleich noch mit, uns wird gesagt: das ist das ABS, kein Problem. Dennoch müssen wir kurz in die Werkstatt nach Aus, um das Problem mit dem Allrad-System zu prüfen, da wir uns nun auf den Weg in die Wüste machen werden. Der Mechaniker dort hat aber offenbar wenig Erfahrung mit der Aufgabenstellung, er wechselt sonst wohl eher Reifen. Zum Glück kommt der Chef und legt sich auch mal unters Auto. Es wird ein wenig an den Kabeln gezupft - es gibt aber keine Veränderung der Lage - die Lichter leuchten weiter. Der Chef macht mit Ute gemeinsam eine Probefahrt. Ergebnis: Allrad und sogar die niedrige Übersetzung funktionieren einwandfrei, es scheint wohl eher ein Problem einer zu sensiblen Elektronik zu sein, die ob der Staubkörner im System irritiert ist. So fahren wir gg. 11 Uhr los zum Wüstencamp. Die Landschaft ist einmal mehr völlig spektakulär, die Vorfreude dementsprechend riesig. 

Als wir das Camp erreichen, fühlt es sich an wie ein Tiefschlag: der Campingplatz steht allein und verlassen im Sand. Zugegeben, spektakuläre Aussicht. Aber wo ist die Loungezone mit Drinks, schönem Pool und Liegen, in denen man gemütlich Liegen kann? Es gibt einzig ein Restaurant, welches man mit dem Auto erreicht, das aber innen so heiß ist, dass man drin nicht sitzen kann und draussen so windig, dass man dort ebenfalls kaum sitzen kann. Der Pool existiert, sieht aber aus wie eine Kläranlagenstation (die runden betonierten Becken in Europa), und es gibt unter einem jämmerlichen Mini-Schattendach 4 Liegen, die bereits alle belegt sind. Mir fährt die völlige Panik ein. Was soll ich hier? Wie soll ich hier einen weiteren Tag aushalten? Wo soll ich mich aufhalten, einen ganzen Tag lang, wenn es im Restaurant nicht möglich ist und am Campingplatz ebenso unerbittlich die Sonne brennt? Und am Camping gibt es weder W-LAN geschweige denn eine Mobilfunkverbindung.

Ute trägt das Drama mit Fassung und wir beschließen, abzuwarten aber auf jeden Fall morgen wohl eher weiter zu fahren. Mit dieser Aussicht beruhige ich mich innerlich ein wenig. Ich stelle fest: ich reise unter anderem, weil ich raus will aus meiner Komfortzone. Und wenn es dann soweit ist, behagt mir das überhaupt nicht und ich reagiere alles andere als besonnen oder entspannt. Ständig gehen mir die Gedanken durch den Kopf, was man mit dem morgigen Tag alternativ alles hätte machen können. In Wahrheit wäre das vermutlich nichts anderes als halt an einem Campingplatz einer Lodge zu sein, mit W-LAN und dem Gefühl, sich zu beschäftigen.

Ich - bzw. natürlich wir beide - wollten in die Wüste, nun bin ich in der Wüste, und halte die Wüste kaum aus.

 

Als sich der Sonnenuntergang nähert wird es plötzlich spektakulär: die Wüste beginnt zu leben. Peter Schilling besingt dies sehr treffend: zum Sonnenuntergang beginnt eine vielstimmige Kakophonie die nicht beschreibbar ist. Ich versuche, dieses Erlebnis mit einer Mikrofon-Aufzeichnung festzuhalten, was aber durch den starken Wind nicht möglich ist. Wir stehen mitten in der Wüste, um uns herum Abertausende Stimmen - eine Unterhaltung unter Tieren, von denen wir kein einziges sehen, die aber offensichtlich sich wahnsinnig viel zu erzählen haben. Mit Untergang der Sonne endet dieses Konzert so abrupt, wie es begonnen hat. Stattdessen legt die Wüste ihren zweiten Zauber offen: die Sterne am Himmel erscheinen, und die Milchstraße ist völlig klar zu sehen. Das Zeitfenster zwischen Sonnenuntergang (ca 19.15 Uhr) und Aufgang des Mondes ist hier in Namibia erstaunlich lang - wir haben Zeit bis nach 22 Uhr, um die Sterne zu bestaunen. Ute hat ihr Stativ aufgebaut und probiert unermüdlich, welche unterschiedlichen Ergebnisse Belichtungszeiten und Einstellung  der Blende produzieren. Es ist so schön, und die Zeit vergeht dabei wie im Flug. In der völlig Licht-freien Umgebung in die Sterne zu sehen und dabei ein Glas Wein zu trinken ist einfach wundervoll.

 

Gegen 22:30 ruft die Nachtruhe - wir wollen am kommenden Morgen früh aufstehen um die Umgebung im schönen Morgenlicht zu erleben. Ab ca. 9:30 ist es bereits so heiß und die Sonne scheint so stark, dass das Farbspiel von einem gleißenden Hitzeflimmern übertüncht wird.

Das mit dem Früh aufstehen wird allerdings nix, zumal wir beide wegen des starken Windes am Vortag kombiniert mit der sengenden Sonne durchaus etwas Kopfweh haben. Aber die Umgebung ist wunderschön. Meine innere Unruhe und das „Kopfkino“, was man wohl so tun könnte, anstelle von „Nichtstun“, sind verschwunden.  Es ist so schön in der Wüste - dass der Zauber sich richtig entfaltet: die unendliche Ruhe, die unendliche Weite, das Farbspiel von Sand, roten Sandbereichen und mehrfarbigen Bergen ist phantastisch, ergänzt von gelegentlichen Tupfern grün einiger Köcherbäume. Wir fragen uns, warum wir hier direkt wieder weg wollten und beschließen, zu bleiben.

Wer nun denkt, es wäre ein Tag zum völligen Nichtstun (verdammt), der irrt sich gewaltig: zunächst gilt es, das Frühstück herzurichten und zu Duschen. Weil wir mittlerweile die einzigen auf dem Campingplatz sind (vorher war ein weiteres Auto mit uns dort), können wir nach dem entspannt nackt in der Sonne rumrennen um uns abzutrocknen. Was ob der sengenden Sonne rd. 5 Sec. dauert.

Wir lesen, Ute bearbeitet Fotos…und plötzlich tun sich in der Ferne mehrere schwarze Punkte auf. Sie stellen sich als eine Gruppe von Straußen heraus, und so sind wir schon wieder beschäftigt - selbige zu beobachten. Neben diesen großen schwarzen Punkten gibt es am Boden auch kleine schwarze Punkte zu beobachten, es sind die hier sehr verbreiteten Schwarzkäfer. Einer davon mag uns so sehr, dass er ständig zwischen unseren Füßen, dem Tisch und den Stühlen hin und her zieht - wir also schon wieder beschäftigt sind - nämlich damit, zu gucken, dass wir den kleinen Kerl nicht zertrampeln.

Gegen Mittag schenkt Ute mir eine Hinternmassage, um den völlig ausser Tritt geratenen Piriformis-Muskel zu lockern. Ich seufze dankbar und wünsche mir, die Zeit würde einfach stehen bleiben.

Zur Massage holen wir erstmals unsere Musikbox raus und legen Musik auf. Nach der Massage läuft Martin Roth, „An analog Guy in a digital world“. Es ist so unfassbar, in der Namib-Wüste barfuß im Sand zu tanzen und den Zauber dieser Umgebung wahrzunehmen. Ich lasse meine Gefühlswelt der letzten 24 Stunden Revue passieren und kann über mich selbst nur den Kopf schütteln. Die Dinge auf mich zukommen lassen und nicht sofort überreagieren - das ist mein Lernziel aus dieser Erfahrung.

 

Sternenhimmel, die Zweite

Gestern Abend starteten wir einen neuen Anlauf, diesen unglaublichen Sternenhimmel auf Bild festzuhalten. Obwohl ich mich ansonsten eigentlich nicht für Fotografie interessiere, ist es hier plötzlich völlig anders: wenn man in diesen Himmel schaut ergeben die Anweisungen zu Blende, Belichtungszeit und ISO-Einstellungen plötzlich einen Sinn für mich. Ute erklärt mir all dies geduldig, und wir probieren systematisch, wie beim A/B-Testing immer nur eine Variable ändernd die Einstellungen durch. Allerdings sind es nicht die perfekten Bedingungen: es war am Nachmittag und bis in den Abend hinein sehr windig und es wurde sehr viel Staub aufgewirbelt. Man kann die Körnchen richtig durch die Luft wirbeln sehen, wenn man die Kopflampe anschaltet und sie vor dem Auge herumtanzen. Es wirkt wie ganz feine Schneeflocken. Durch diesen aufgewirbelten Staub werden die Aufnahmen etwas diffus - ist mir aber völlig schnurz, sie sind wunderschön und die Milchstraße ist faszinierend.

Nachdem der gestrige Tag für maximale Entspannung gesorgt hat, geht es heute weiter in Richtung der ganz ganz großen Sanddünen (die größten der Welt), nach Sesriem. Wir werden wieder die D707 entlang fahren und die Fahrt geniessen. 

 

Sound und Spuren der Wüste

Nach der 2. Nacht mitten im Nichts gelingt es uns, uns kurz vor 6 Uhr aus dem Bett zu bewegen, um die morgendliche Atmosphäre der Wüste um uns herum zu erkunden. Der Sonnenaufgang ist tricky: man liegt im Bett und schaut aus dem Zelt, und alles ist noch dunkel. Dann steht man auf, und plötzlich, gefühlte 2 Minuten später ist die rötliche Färbung am Himmel da - obwohl man noch gar nicht den vermeintlich schönsten Spot für das Sonnenaufgangs-Photo erreicht hat. Und dann ist es auch schon wieder vorbei mit der rötlichen Färbung. Wir grämen uns jedoch nicht, weil es eh ein wenig bewölkt ist. Dafür sind die Geräusche der Bewohner heute morgen umso vielfältiger. Nachdem wir in der Nacht schon das erste mal den offenbar nur in Namibia beheimateten bellenden Gecko hören konnten, mischt sich heute morgen unter die uns bereits bekannten Töne ein weiterer Sound: es gibt einen Bewohner, der das bisherige Bariton Gepfeife um einen ganz tiefen Bass anreichert. Es klingt eindeutig nach Frosch oder Kröte. Obwohl wir hören und sehen können, dass hier unendlich viele Tiere ihre Heimat haben, gelingt es uns kaum, welche zu sehen. Der Schwarzkäfer auf unserem Platz ist ständig unterwegs, und in der Nacht, als wir unter dem Sternenhimmel saßen, sah Ute plötzlich etwas zwischen unseren Füßen huschen. Panikartig streckten wir sie in den Himmel, waren wir doch vor Schlangen und Skorpionen gewarnt worden. Bei Licht allerdings entpuppte es sich als Wüsten-Springmaus, die offenbar ihr Hauptquartier unter unserem Mülleimer hat. Außer diesen beiden Tieren, sowie den Vogelstraussen, die wir gestern sahen, einem Kaninchen, diversen Insekten und einer fast durchsichtigen, sehr filigranen Spinne können wir sonst nichts entdecken.  Die Löcher in allen Größen  - Millionen davon - zeugen jedoch davon dass hier viele Tiere leben und natürlich auch deren Spuren; sowohl Fußspuren als auch Köttel aller Art.

 

A propos:  wir wurden sehr schnell gewahr, dass Wasser eine der wertvollsten, wenn nicht DIE wertvollste Ressource dieses Landes ist. Viele Flußbette führten seit 20+ Jahren kein Wasser mehr und nur die härtesten und am besten angepassten Pflanzen können in diesem ariden Klima überleben. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass wir in der Lodge in Klein-Aus wichtige Hinweise zum Wassersparen fanden. Die meisten waren uns selbstredend bekannt, aber ein Hinweis war uns völlig neu: „in you Go to number one, remind  yourself: if it`s yellow let it mellow, if it`s brown, flush it down“. 

Seitdem werfen wir uns nicht mehr die banale Information „ich muß mal auf`s Klo“ zu, sondern sind deutlich präziser: „I Go yellow“ oder „I Go Brown“. Da wir beide beruflich viel mit Prozessoptimierung zu tun haben, ist es selbstverständlich, dass es hier eine optimierte Variante gibt.

 

 

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